«Chästeilet» über die Landesgrenzen hinweg

Was ist Kurut? Wie stellt man einen Mutschli her? Die Antworten auf diese Fragen liefern acht Käserinnen aus Tadschikistan und der Schweiz. Anfang Dezember trafen sie sich in Tadschikistan für einen Wissensaustausch über Techniken der Milchverarbeitung.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Was ist Kurut? Wie stellt man einen Mutschli her? Die Antworten auf diese Fragen liefern acht Käserinnen aus Tadschikistan und der Schweiz. Anfang Dezember trafen sie sich in Tadschikistan für einen Wissensaustausch über Techniken der Milchverarbeitung. In der Provinz Sughd und dem Rasht-Tal stellten die Frauen gemeinsam tadschikische Milchprodukte und Schweizer Käse her. Das Tagebuch der Käserinnen lässt in neue Erkenntnisse und innovative Ideen blicken.

Text und Bild: Martina Schlapbach und die Käserinnen

Tag 1: «Nur» Käse?

«Auf dem Markt in Khujand habe ich heute erstmals in einen Kurut gebissen: Eine getrocknete Milchkugel, die je nach Herstellungsart säuerlich oder salzig schmeckt. Die breite Palette an primär gesäuerten lokalen Milchprodukten ist faszinierend. Beim Kennenlernen mit unseren tadschikischen Kolleginnen tauchte die Frage auf, ob wir in der Schweiz «nur» Käse herstellen. Im Gespräch gewährten wir uns gegenseitig einen ersten Einblick in die Vielfalt unserer nationalen Milchprodukte und Käsesorten. Absolut überwältigt bin ich von der Herzlichkeit und Offenheit, mit dem uns die tadschikischen Käserinnen und ihre Familien empfangen haben. Heute Abend werden wir zusammen Fladenbrot backen und Plov, das zentralasiatische Reisgericht, kochen. Der Zusammenhalt unter den Frauen fällt sofort ins Auge und zeugt von einer immensen Schaffenskraft.»  Michela Esposto – Die Wahl-Glarnerin mit italienischen Wurzeln geht z’Alp, seit sie mit 16 Jahren ihre erste Ziege molk.

Joghurtbällchen

Tag 2: Der erste Mutschli

«Endlich! So lange haben wir in unserer Molkerei geplant, einen eigenen Käse zu produzieren. Heute nun haben wir im Kessel, wo gewöhnlich unser Kefir reift, acht Mutschli hergestellt. Unsere Schweizer Kolleginnen haben uns das Rezept im Detail erklärt, welches wir dann Schritt für Schritt umgesetzt haben. Ich habe mir den Produktionsvorgang viel komplizierter vorgestellt. Trickreich war ein kurzer Stromausfall, der uns veranlasste, die Milch draussen mit dem Wasserschlauch abzukühlen. Während der Zeit, in der das Lab wirkte, überraschten uns die Schweizerinnen mit einem Samichlaus-Znüni. Es war wunderbar, diesen Feiertag auf so genussvolle Weise kennenzulernen. Besonders toll war, während dem Brunch in ein Stück mitgebrachten Schweizer Mutschli zu beissen. Nun wissen wir genau, welches Ziel wir vor Augen haben. Nun muss ich aber gehen: Die nächste Schmierung unserer frischen tadschikischen Mutschli steht an.» Rukhsora Usmonova – Die  Leiterin der Milchkooperative “Guncha” hat in Gonchi, Sughd Provinz, erfolgreich eine Glacé lanciert und träumt von ihrem eigenen Käse.

Tag 3: Das Dorf arbeitet mit

«Unser Austausch zeigt mir, wie stark Milchprodukte in die lokalen Begebenheiten eingebettet sind, wie sie die Geografie, Landwirtschaft und Kultur vorgeben. Für einen Hartkäse, wie man ihn in Tadschikistan herstellt, stellen sich Herausforderungen bezüglich Lagerung und Hygiene. Unsere Suche nach praktischen Lösungen setzte ein enormes Potential an Kreativität und Innovation frei. Heute etwa fanden wir zunächst ein Haus mit einem geeigneten Keller, und zogen dann weiter zum Haushaltwarenladen und Schreiner. Zum Schluss des Tages steht ein mäusesicheres Gestell, wo die Mutschli bei idealer Temperatur und Feuchte reifen können. Sehr anregend ist für mich das Erlernen der Herstellungsart tadschikischer Produkte. Die Rezeptur für Chakka, einen sauren Quark, und Kurut werde ich nächsten Sommer auf der Alp sicherlich ausprobieren.» Jelena Moser – Die Sennerin lebt ihre Leidenschaft für den Rohstoff Milch das ganze Jahr über: im Sommer auf Bündner Alpen und im Winter im Zürcher Geschäft «Tritt Käse».

Erste Produkte erhellen die Gesichter.

Tag 4: Testessen zu Neujahr

«Die Zusammenarbeit mit den Schweizerinnen bringt uns auch mit neuen lokalen Partnern in Kontakt. Diese Kontakte sehe ich als Schlüsselelemente, wenn wir eine nachhaltige Käseproduktion aufziehen wollen. Über eine grössere Molkerei in Khujand, die wir gestern besucht haben, können wir in Zukunft Lab beziehen. Die leitende Milchtechnologin dieser Molkerei hat an unserer ersten Käseherstellung teilgenommen und wird uns auch in Zukunft mit technischem Rat zur Seite stehen. Unsere erste Serie Mutschli wird Ende Dezember und somit pünktlich zu Neujahr essbereit sein. An solchen Feiertagen gönnen sich die Tadschiken traditionellerweise ein Gourmetprodukt wie Käse. Wir planen eine Degustation, welche uns zeigen soll, ob unsere Kundschaft die Begeisterung für die neuen Produkte mit uns teilt. Neben Mutschli werden wir unseren Kunden auch Ziger und Robiola, zwei Frischkäse nach Schweizer Rezeptur, vorstellen.» Mafchuda Ablokulova – Die Milchverarbeiterin hat für die Kooperative «Guncha» vor einem Jahr einen Businessplan für Käseherstellung und -verkauf entworfen, den sie nun umsetzt.

Tag 5: Wie ein Sommerbeginn

«Gestern Abend kamen wir in unserer zweiten Arbeitsstation in Jirgatol, einem entlegenen Bergdorf im Rasht-Tal, an. Die Milch wird hier von A bis Z verarbeitet, ohne jeglichen Abfall. Heute haben wir vom Säuregetränk Ayran und Chakka über frische und eingesottene Butter bis zu verschiedenen Kurut-Sorten eine Reihe an lokalen Produkten hergestellt; die Restschotte wird den Hühnern gefuttert. Spannend ist auch zu sehen, wie sich die Herstellungsarten regional unterscheiden. Der Wissensdurst der Tadschikinnen ist immens, und ihr Auffassungsvermögen bezeichnenswert. Auch wenn die lokalen Produkte unhinterfragt ihren Sinn und Stellenwert haben, steht der Anwendung neuer Technologien nichts im Wege. Die Herstellung eines guten Hartkäses erachte ich hier als möglich und sinnvoll, sofern die Nachfrage dafür besteht. Die ersten Produktionen in diesen Tagen erinnern mich an unsere Sommeranfänge auf der Alp, wo sich jeweils auch alles wieder einspielen muss. Ich unterstütze die Tadschikinnen in ihren Plänen und empfinde es als grosse Bereicherung, diesen Lernprozess gemeinsam zu gestalten.“ Simone Burki – Die Älplerin verarbeitet im Bündnerland die Milch von 60 Kühen zu Alpkäse.

Tag 6: Die Harfe als führende Hand

«Heute haben wir die Schweizerinnen durch unsere neue Molkerei geführt. Diese ist vorerst eine Sammelstelle für Milch und fertige Produkte; im Frühjahr führen wir die Bauarbeiten fort, sodass wir hier künftig auch Milchprodukte herstellen und lagern können. Die Schweizer Käserinnen haben uns bezüglich Infrastruktur wertvolle Ratschläge gegeben, die wir umsetzen werden. Die mit ihnen angewandten Rezepte und auch das mitgebrachte Grundmaterial wie die Harfe und das Lab empfinde ich als Stützhilfen, bei denen uns unsere Kolleginnen bei der Hand nehmen und weiterführen. Vorerst werden wir uns entsprechend unserer Einrichtung auf die Produktion eines Frischkäses konzentrieren. Das Ziel ist, in Zukunft einen länger haltbaren Käse herzustellen. Die Touristen und Alpinisten, welche unsere Berge erkunden, fragen bereits jetzt danach.» Aisuluv Jenalieva – Die Begründerin von «Asamat», der ersten Molkerei Jirgatols, will im Rasht-Tal den Tourismus als Chance nutzen.

Tag 7: Tadschikisches «Fondue»

„Innerhalb einer Woche hat sich unsere Frauengruppe zu einem produktiven Team entwickelt. Die hier neuen Arbeitsschritte spielen sich ein. Grossartig ist zu sehen, wie sich die tadschikischen Kolleginnen gegenseitig die neu erlernten Herstellungsverfahren erklären und interessierte Berufskolleginnen einführen. Aus unserer Zusammenarbeit entstehen auch innovative Varianten von Produkten; so haben wir heute etwa auf Anregung der Tadschikinnen die Schotte, die aus der Chakka-Produktion übrigblieb, «verzigert». Ich freue mich sehr, dieses Wissen zu vertiefen, wenn wir uns im Februar zum Austausch in der Schweiz treffen. Mit dem Einblick in mein Käselager hoffe ich, den Tadschikinnen eine konkrete Vorstellung bezüglich der Lagerung von Hartkäse zu vermitteln. Ein Highlight des heutigen Tages war das Mittagessen: Wir genossen Kurutob, das tadschikische Nationalgericht. Dieses wird hauptsächlich aus den Kurut-Kugeln und Brot hergestellt, und besteht damit aus ähnlichen Lebensmitteln wie unser Fondue. Schön, diese Nähe zwischen zwei geografisch weitentfernten Ländern zu entdecken!» Trix Lehmann – Die Glarnerin stellt seit 28 Jahren Käse her und unterhält einen eigenen Betrieb mit 70 Ziegen.

Tag 8: Von der Jurte «z’Alp»

«Heute haben wir auf meinem Küchenfeuer Robiola gemacht. Ich bin begeistert, dass die Herstellung mit so einfachen Mitteln möglich ist. Am Abend konnten wir den Frischkäse schon kosten – er schmeckte sehr lecker. Wir werden nun experimentieren, wie wir den Käse salzig und süss verfeinern können, etwa mit Kräutern, Gewürzen und Konfitüre oder eingelegt in Öl. Letzteres verlängert die Haltbarkeit, was bei unserer Entfernung von grösseren Märkten wichtig ist. Ich werde das Rezept nächstes Jahr in meiner Jurte auf der Sommerweide testen. Zuvor warte ich voller Spannung auf die Erkenntnisse, die wir in der Schweiz gewinnen werden. Ich freue mich besonders, die Alpwirtschaft mit der Landwirtschaft zu vergleichen, wie wir sie in unseren Bergen betreiben.» Andas Jumaeva – Die Milchverarbeiterin stellt aus der Milch ihrer zwei Kühe Produkte her, die sie über die Molkerei «Asamat» vertreibt.

Freude und Stolz über die ersten gelungenen Mutschli.

[notification type=“alert-info“ close=“false“ ]«Chästeilet» resp. «Cheese exchange» ist eine Initiative von UN Women und wird im Rahmen des Projektes «Stärkung von verlassenen Frauen aus Migrantenfamilien in Tadschikistan» mit der finanziellen Unterstützung des norwegischen Aussenministeriums und des Globalprogramms Migration und Entwicklung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sowie in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV) umgesetzt. Der zweite Teil des Wissensaustauschs findet im Februar 2016 in der Schweiz statt.
Für mehr Informationen: martina.schlapbach@unwomen.org[/notification]