He Hirt

Klagen über die Bauernschaft hört man allenthalben, wenn die ÄlplerInnen ihre Alpgeschichten ausbreiten. Vieles davon ist nur die eine Häfte des zerbrochenen Hirtenstocks. Hier erzählt eine Bäuerin, wie sie die «Zusammenarbeit» zwischen Bauern und Hirt wahrnimmt. Text und Bild einer Bäuerin, die ungenannt sein möchte. Es ist unglaublich, wie respektlos und entwürdigend auch heute noch […]

Klagen über die Bauernschaft hört man allenthalben, wenn die ÄlplerInnen ihre Alpgeschichten ausbreiten. Vieles davon ist nur die eine Häfte des zerbrochenen Hirtenstocks. Hier erzählt eine Bäuerin, wie sie die «Zusammenarbeit» zwischen Bauern und Hirt wahrnimmt.

Text und Bild einer Bäuerin, die ungenannt sein möchte.

Es ist unglaublich, wie respektlos und entwürdigend auch heute noch Bauern das Alppersonal behandeln! Es beginnt schon am ersten Tag: Hirt Pietro wartet gespannt auf sein Vieh, er hört Glocken, öffnet den Zaun, sieht sein Vieh freudig in die Weide stürmen, schliesst den Zaun wieder und wendet sich dem Bauern zu. Der sagt knapp «guten Tag», ohne ihm die Hand zu reichen, dann drückt er ihm Papiere in die Hand und wünscht beim Gehen noch «schönen Sommer», was so viel heisst wie: mich siehst du den ganzen Sommer nicht. Den Namen des Rüpels erfährt Pietro aus dem Papier, die Namen der Tiere stehen dort nicht drauf, vielleicht haben sie keine und wenn sie welche haben, weiss so ein Bauer sie meistens auch nicht.

Dann taucht im Sommer ein Problem mit einem Tier auf. Pietro ruft Bauer Keinezeit am Abend auf das Festnetz an, seine Frau nennt ihm die Natelnummer, doch Bauer Keinezeit nimmt nicht ab, noch ruft er zurück. Pietro ruft noch einmal Frau Keinezeit an, diese erklärt ihm, dass ihr Mann nie in die Alp kommt, um ein Tier zu behandeln, und wenn es so schlimm sei, dann solle er den Tierarzt rufen, sie bezahlen ihn dann. Der ganze nächste Tag geht mit der Behandlung der armen Kuh drauf. Bis der Alpmeister mit dem Tierarzt kommt, hat Pietro die gesamte Herde von Bauer Keinezeit zum Stall hinunter geholt, wo der Klauenstand steht. Der Tierarzt muss der Kuh nach der Operation einen Totz verpassen, er findet, eigentlich müsste man die Kuh nach Hause schicken, eigentlich….

Die Tage vergehen, aber Bauer Keinezeit erkundigt sich nie nach der Kuh, die Pietro inzwischen Elisabeth getauft hat, weil sie mit der Würde einer Königin ihrer Herde nachhinkt. Pietro hat ihr jeden Tag einen halben Apfel geschenkt und als sie zutraulich wurde homoöpatische Kügali aus seiner Apotheke verabreicht.

Ende August kommen vier Bauern in die Alp, um eine der untersten Weiden zu entbuschen. Pietro hilft mit. In der Mittagspause wird erzählt und gelacht. Bauer Istdochwurscht spricht Pietro mehrmals mit «He! Hirt!» an, so, wie wenn man einen Hund ruft. Es ist ihm egal, wie der Hirt heisst, er hat ihn auch so im Handy gespeichert: Hirt. Er stellt ihm auch keine persönliche Frage, denn es ist null Interesse da für den Menschen, dem er drei Monate lang die Verantwortung für dreissig Tiere übergibt.

Auch am letzten Tag erlebt Pietro Benehmen, für das sich anständige Bauern schämen. Bauer Ichbinwichtig taucht ohne Anmeldung auf und erwartet, dass ihm Pietro seine Tiere in Windeseile aus der Herde aussortiert. Er steht unten am Zaun und sobald die ersten seiner Rinder auftauchen, marschiert er los, ohne einen Handschlag, ohne in die Augen schauen und ehrlich danken und auch ohne Trinkgeld.

Liebe Hirten, ich hoffe, dass solche Bauern in der Minderzahl sind und dass die anständigen Bauern, jene, die euch am Sonntag mit Kuchen besuchen, jene, die euch zu Hilfe eilen, wenn die störrische Emerita Palusa hat, jene, die euch einmal anrufen, um zu fragen, wie es dem Vieh, aber auch euch geht, jene, die euch und eure Arbeit wertschätzen, dass diese anständigen Bauern diese Respektlosigkeit der anderen aufzuheben vermögen.