AOC - Im Zeichen des Ursprungs

Wäre die Geschützte Ursprungsbezeichnung AOC z.B. für Bündner Alpkäse gleichzeitig eine Chance für die Alpwirtschaft in Graubünden? In der Schweiz dürfen sich bisher 14 landwirtschaftliche Erzeugnisse mit der Bezeichnung "AOC" schmücken. Die 14 Käse, Spirituosen, Brote, Getreide und Gewürze werden in traditioneller Weise, in Bezug zu ihrem Ursprung unter bestimmten natürlichen und menschlichen Einflüssen erzeugt.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Die meisten kennen die AOC (Appellation d’Origine Contrôlée) vom Wein, haben es auf einem Stück Gruyère entdeckt oder auf der Rinde des Parmesan das italienische Kürzel DOP (Denominazione di Origine Protetta) gelesen. Alle diese Produkte geniessen einerseits den Schutz ihres Namens in Verbindung mit der Herkunft und garantieren andererseits für eine traditionelle, handwerkliche Erzeugung.

Erzeugt, verarbeitet und veredelt. Nach der Verordnung 910.12 gilt für ein AOC-Erzeugnis, dass es in der Gegend, aus der es stammt und dessen Namen es trägt, erzeugt, verarbeitet und veredelt sein muss. Dies bedeutet z.B. für einen «Rheintaler Ribelmais AOC» ein Anbaugebiet vom Unterrheintal im Kanton St. Gallen über Sargans und dem Fürstentum Liechtenstein bis nach Untervaz in Graubünden. Die Maiskörner, die es für den Ribelmais benötigt, stammen von einer alten Landsorte und müssen im erwähnten geographischen Gebiet auch gemahlen und verpackt werden.

Lokale und regionale Produktionskreisläufe. Die Idee der AOC ist es kleineren und mittleren Erzeugergemeinschaften von regionalen Spezialitäten einen umfangreichen Produkteschutz zu garantieren. Gleichzeitig soll für die Konsumenten Herstellung und Qualität garantiert und überwacht sein. Einer Verlagerung von Verarbeitungsprozessen oder die Zufuhr von Rohstoffen für die Veredelung in entferntere Gebiete kann dadurch vermieden werden. Alles soll in möglichst kleinen räumlichen Territorien stattfinden, also in lokalen und regionalen Produktionskreisläufen. So darf z.B. «L'Etivaz Alpkäse» nur aus Alpenmilch von Alpbetrieben im Sömmerungsgebiet erzeugt werden. Gekäst wird mit direkter Feuerung unter dem Kessi; Dampf, Gas und Strom sind bei «L'Etivaz» also nicht erlaubt. Während der Reifung wird der Hartkäse taxiert und sortiert. Die ersten Laibe sind nach 16 Wochen zum Verkauf freigegeben, die besten gelten nach 30 Monaten Lagerung als Hobelkäse. Jacques Henchoz sechs Jahre Präsident der Schweizer Vereinigung zur Förderung der AOC und IGP, hat während 22 Jahren auf dem väterlichen Sömmerungsbetrieb selbst «L'Etivaz Alpkäse» erzeugt. Heute arbeitet er im BLW und ist in seiner Funktion Verantwortlicher für die AOC und IGP Politik.

Kennzeichnung von Fromage d'Alpage «L'Etivaz AOC» Quelle: La Coopérative des producteurs de fromage d'alpage «L'Etivaz AOC»

Das Gesuch ist eine von vielen Hürden. Im Eintragungsverfahren werden alle Anforderungen an ein Gesuch für eine AOC überprüft. Nach Anhören der Kommission für AOC/IGP sowie der betroffenen kantonalen und eidgenössischen Behörden wird dieses Gesuch vom BLW anerkannt oder abgelehnt. Die Erzeuger müssen folgende Nachweise und Angaben erbringen:

  • Die gesuchstellende Gruppierung ist repräsentativ.

  • Die einzutragende Ursprungsbezeichnung ist formuliert (siehe Abb. oben).

  • Es handelt sich nicht um eine Gattungsbezeichung (z.B. Alpkäse, Bratwurst).

  • Die geschichtliche Entwicklung sowie das geographische Gebiet des Erzeugnisses ist dargelegt;

  • Das Produkt ist rückverfolgbar.

  • Der Zusammenhang des Erzeugnisses mit den geographischen Verhältnissen bzw. dem Ursprung «Terroir» ist klar.

  • Die «Beschreibung allfälliger lokaler, redlicher und gleichbleibender Verfahren» (Brauch) ist beigefügt.

Weiter ist dem Gesuch ein Pflichtenheft beizulegen, in dem genauere Angaben zum Ursprung und zur Herstellung gemacht werden. Dies sind der Name des Erzeugnisses und die Abgrenzung des geographischen Gebietes sowie die Beschreibung des Erzeugnisses, insbesondere seiner Rohstoffe und Haupteigenschaften. Auch die Herstellungsmethode inklusive Veredelung muss im Pflichtenheft beschrieben werden.

Eine Untersuchung in Graubündens Alpwirtschaft. Für die Ende August 2005 abgeschlossene Untersuchung wurde eine Methode gewählt, die in der Marktforschung seit längerem mit Erfolg eingesetzt wird. Die sogenannte Gruppendiskussion ist einer ganz natürlichen Situation, in der sich Menschen untereinander austauschen aber auch Entscheidungen treffen, sehr nahe. Entscheidungsprozesse sind für die Marktforscher das Zünglein an der Waage. In der Bündner Alpwirtschaft geht es nun nicht um Kaufentscheidungen, sondern um Einstellungen zur Geschützten Ursprungsbezeichnung von Personen, die möglicherweise Entscheidungen treffen. Das sind einerseits die Alpverantwortlichen, sprich Alpmeisterinnen und Alpmeister, aber auch die Experten, welche als Berater herangezogen werden oder durch ihr Amt Entscheidungsträger sind. In einer Gruppendiskussion werden im freien Gespräch unter den Teilnehmern die Punkte angesprochen und ausdiskutiert, die es zu erforschen gilt. Wichtige Aussagen bilden das Ergebnis der Untersuchung. Die Methode gelangt also einerseits schnell an Ergebnisse und kann andererseits in ihrer Aussagekraft ernst genommen werden. Graubünden, ein Kanton mit drei Sprachen sowie mehreren Regionen und Mentalitäten bildet eine «Schweiz» für sich. Daher sind Gruppen aus vier Regionen eingeladen worden. Im Frühjahr 2005 trafen sich in Nord-, Mittel- und Südbünden sowie in der Surselva jeweils 6 bis 13 Alpmeisterinnen und Alpmeister. Zusätzlich diskutierten zwei Expertengruppen am Plantahof. Nicht nur ich als Untersuchender habe von den Aussagen einen Nutzen gewonnen, auch die Alpmeister selber konnten sich gegenseitig austauschen und voneinander lernen.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind ernüchternd. In den Gesprächen wurde erklärt, dass es sich beim Bündner Alpkäse um ein Naturprodukt, um eine Spezialität und um ein Grundnahrungsmittel handelt. Für die Erzeuger, die Experten und die Konsumenten ist er gefühlsmässig «wertvoller» als vergleichbare Bioprodukte. Problematisch für die Vermarktung von Bündner Alpkäse ist die Zeit nach Alpentladung, wenn der Käse bei den Bauern ist. Bei nicht sachgemässer Käselagerung leidet die Qualität des Produktes, zusätzlich gehen einige Alpbewirtschafter unachtsam mit dem Alpkäse um. Das lässt eine geringe Wertschätzung gegenüber dem Alpkäse erkennen. Die Identifikation mit dem Produkt scheint in jenen Fällen geschwächt zu sein. Bei einigen Bauern entsteht der Zwang zur schnellen Vermarktung mit tiefen Preisen, die deutlich unter den Richtpreisen liegen. Positiv ist zu bemerken, dass sich die Einwinterung von Alpkäse in Alpkellern oder in Kellern von Maiensässen bewährt hat und immer häufiger «ausprobiert» wird. Sie ist für die Qualität von Vorteil und entlastet den überfüllten Alpkäsemarkt im Herbst.

Ein Schutz für den Bündner Alpkäse? Manchen Alpbewirtschaftern genügt die Kaseinmarke als Schutzzeichen, andere sind sich unsicher, wie ausreichend diese gegenüber Nachahmung oder Konkurrenzprodukten aus dem In– und Ausland schützt. Die Abgrenzung zu Bergkäse, speziell zu Bündner Bergkäse, ist wichtig, da es immer wieder Verwechslungen gibt. Allerdings sehen die Alpmeister kaum einen unmittelbaren Nutzen durch eine AOC, z.B. in der Vermarktung, da ihre Privatkunden nicht nach einem AOC–Zeichen verlangen. Langfristig könnte eine AOC Vorteile in Verhandlungen gegenüber dem Grosshandel oder bei möglichen «Alpkäsefälschungen» bringen. Die Preisgestaltung wird aus Sicht der Experten als nebensächlich angesehen. Wichtiger wäre ein Vermarktungskonzept und Marketing in Verbindung mit einem Label. Die Kommunikation zum Konsumenten soll über «Geschichten» gestaltet werden, um damit die inneren Werte des Bündner Alpkäses vermitteln zu können.

Kaseinmarke für nach QS–Alp zugelassene Alpbetriebe (Quelle: L. Hug 2005)

Die Bauern wünschen sich verständlicherweise keine zusätzlichen Kontrollen und Kosten. Die finanzielle Grenze für Investitionen auf den Sennalpen ist vielerorts erreicht. Die Höhe der Kosten und die damit verbundene Finanzierung des AOC–Prozesses ist den meisten Alpbewirtschaftern unklar. Die Bauern fordern daher Aufklärung. Die «Experten» halten halten bereits heute die Möglichkeit der Eigenfinanzierung durch die Alpbewirtschafter für sinnvoll. Sie stellen die Gretchenfrage: «Seit ihr bereit das zu finanzieren?» Da es keine Vereinigung der Bündner Alpbewirtschafter gibt, soll die Zuständigkeit für ein weiteres Vorgehen beim Bündner Bauernverband bleiben, so die Experten und Alpmeister. Allerdings kann mit einem grossem Engagement seitens der Alpbewirtschafter nicht gerechnet werden. In Graubünden herrscht eine föderalistische Struktur, das könnte ein Grund sein warum der Zusammenhalt nicht so ausgeprägt ist, wie unter den Bauern im Wallis oder im Tessin. Generell fehlen den Bauern die nötigen Informationen rund um die Geschützte Ursprungsbezeichnung.

Für eine AOC benötigt es zwei wichtige Elemente. Eine AOC besteht grob aus zwei Elementen, die sich gegenseitig bedingen. (Siehe Anfang). Einerseits gibt es das Produkt Bündner Alpkäse: Es erfüllt alle direkt mit der Herstellung des Lebensmittels verknüpften AOC–Kriterien. Sein Name ist keine Gattungsbezeichnung und der Ursprung ist belegt, die «Rückverfolgbarkeit» jedes Laibes ist gewährleistet und er wird nach einem Grundrezept erzeugt. Andererseits benötigt es für das Gesuch eine «repräsentative Gruppierung», die für Graubünden nicht existiert. Diese Problematik ist politisch bzw. mit der landwirtschaftlichen Struktur in Graubünden zur erklären. Solange sich die Bündner Alpbewirtschafter nicht mit ihrem Alpkäse und dessen Ursprung identifizieren, seinen Wert schätzen und darin eine Gemeinsamkeit finden, kann eine AOC nicht realisiert werden. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Interessen von Regionen, Gemeinden, Genossenschaften und Alpbewirtschaftern. «...Das ist nämlich eine innere Kommunikation innerhalb von den Bauern, und diese ist enorm wichtig. Ohne diese Kommunikation haben wir keine Chance, ein AOC zu machen» tönt ein Zitat aus einer Expertengruppe. Für das weitere Vorgehen braucht es finanzielle Mittel, Engagement und Personen, die den Prozess vorantreiben, unabhängig vom Erfolg. Denn selbst «...wenn es dann nicht funktioniert, dann hat das AOC, allein schon dass man anfängt, einen grossen Wert». «Also das AOC ist eigentlich nicht mit dem Produkt verknüpft, sondern mit unseren Köpfen».

Die Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Untersuchung bedeutet in Kurzform, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen eine AOC für den Bündner Alpkäse nicht beantragt werden soll.

Link zum AOC: www.aoc-igp.ch


Reiner Schilling (Jahrgang '67) wohnt am Schamserberg GR. Nach dieser Arbeit Dipl-Ing. Agrar. Davor Gärtner und Landschaftspfleger und seit 5 Sommern Hirt und Zusenn auf Bündner Kuhalpen. Ab jetzt selbständig mit HIRN & HAND Dienstleistungen für die Land- und Alpwirtschaft.