Aus dem Alltag eines Möchtegern-Älplers

Im Frühling fragte mich mein kleiner Bruder nach meinem Lieblingstier «Ähm, ich glaub s’Pouletbrüschtli», musste ich nach kurzem Zögern gestehen. So kann das nicht weitergehen, fand ich. Deshalb beschloss ich, diesen Sommer einen Monat auf einer Alp zu verbringen.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Dass ich noch einiges dazu lernen musste, wenn ich vom Stadtmenschen zum richtigen Älpler werden wollte, das stellte ich schon beim bei meinem ersten Erlebnis auf der Alp Arni fest. Als ich kurz nach Mittag ankam, warteten die Alpcheffin Priska und der Rinderhirte Hansi mit einem leckeren Mittagessen auf mich. Zu Tisch machte Hansi aber keine Anstalten, mir von den Nudeln mit Schinken-Tomatensauce zu schöpfen. Kaum war sein Teller voll, begann er zu essen. Priska bemerkte meinen etwas erstaunten Gesichtsausdruck. «He Hansi, wotsch em Mani nöd au echli gää», sagte sie. Und dann zu mir: «Weisch da uf dä Alp haltemer nöd so vill vo Tischmanierä.» Das war mir recht. Von den vorwurfsvollen Blicken meiner WG-Mitbewohnerin, wenn mir beim Essen ein kleiner Rülpser entwich, hatte ich eh genug.

Stadtmensch Mani am schlafen in möchtegern-älplerischer Manier.

Das nächste Hindernis auf meinem Weg zum richtigen Älpler war die Toilette. Entgegen meinen Gewohnheiten als Stadtmensch befand sie sich nicht in einem separaten Raum, sondern in einer Ecke von Hansis Schlafzimmer. Für etwas Privatsphäre sollte ein kleiner Vorhang sorgen, der notdürftig an einer Wäscheleine befestigt war. Die Wäscheleine hing aber so stark durch, dass es nicht möglich war, den Vorhang dauerhaft zuzuziehen. Er rutschte immer wieder in die Mitte der Leine, so dass Hansi von seinem Bett wieder perfekte Sicht auf die Toilette hatte. Statt mich diesem Problem wie ein Alpmensch zu stellen und mir zu sagen, dass es Hansi einen xxxx interessiert, was ich auf der Toilette mache, hatte ich aber eine Idee. Ich holte im Geräteschuppen einen Hammer und zwei Nägel und straffte die Wäscheleine so, dass der Vorhang nicht mehr in die Mitte rutschte. Damit war das Problem allerdings nicht ganz gelöst. Hansi konnte mich auf der Toilette zwar nicht mehr sehen. Wenn mich nachts aber ein dringendes Bedürfnis plagte, dann war es mir immer noch unangenehm, dass er meinen Geschäften zuhören konnte.

Auch beim telefonieren zeigte sich schnell, dass ich kein richtiger Älpler war. Richtige Älpler haben Swisscom. Ich aber leider Sunrise. Bei gutem Wetter war das kein Problem. Da konnte ich die besorgten SMS meiner Freunde von der Alphütte aus beantworten. Bei schlechtem Wetter sah das anders aus. Da war ich auf den Wind angewiesen. Wenn er vom Bristen her kam, dann trug er die Sunrise-Handystrahlung immer noch prima bis ins Haus hinein. Wenn er aber vom Vorderarni her wehte, dann musste ich auf einen Hügel neben der Hütte klettern, um meine Nachrichten zu verschicken. Und weil der Empfang ja immer nur bei schlechtem Wetter nicht klappte, wurde ich auf dem Hügel mehr als einmal ziemlich nass beim Telefonieren.

Wegen Nebel zwar ohne Handyempfang aber trotzdem glücklich.

An diese Unannehmlichkeiten der Alp gewöhnte ich mich aber ziemlich schnell. Nach einigen Wochen schöpfte ich Hoffnung, dass aus mir doch noch ein richtiger Alpmensch werden könnte. Diese Hoffnung wurde im Käsekeller zerstört. Priska riet mir, ich solle mir die doch eher eintönige Arbeit mit Musik versüssen. Sie sagte, wenn man beim Käse schmieren die richtige Musik höre, dann falle man durch die sich immer wiederholenden Schmierbewegungen in eine Art Trance. Also nahm ich meinen fast neuen MP3-Player mit in den Käsekeller. Kurz bevor sich nach einigen Liedern die besagte Trance einstellte, spielte mein Gerät aber einen Song, der mir nicht gefiel. Ich musste also zum nächsten Lied vorspulen. Ich griff in meinen Hosensack um den MP3-Player herauszunehmen. Das gelang mir aber nicht, weil sich beim Käse schmieren auf meinen Handflächen eine etwa einen halben Zentimeter dicke Käserinden-Salzlaken Schicht abgelagert hatte. So konnte ich unmöglich das schöne Gerät anfassen. Also ging ich aus dem Keller und wusch mir im nahen Bach die Hände. Ich programmierte einige gute Lieder und freute mich erneut auf den meditativen Zustand, den Priska vorausgesagt hatte. Leider gefiel mir schon der dritte Song wieder nicht. Und obwohl ich erst etwa fünf Käse geschmiert hatte, hatten meine Hände bereits wieder eine Arnimutschli-Rinde angesetzt. Von wegen Trance – mir brachte Musik beim Käse schmieren nichts anderes als Ärger.

Auf der Alp musste ich also immer wieder feststellen, dass man in einem Monat leider kein richtiger Älpler werden kann. Als ich nach Winterthur zurückkehrte, stellte meine Mitbewohnerin allerdings das Gegenteil fest. Als mir zu Tisch ein kleiner Rülpser entwich sagte sie: «Und das häsch glärnt, hä, i dem Monät wo’d uf dä Alp gsii bisch!»


Mani Neubacher (25) ist in Zürich geboren und hat seither immer in Städten gelebt. Zurzeit wohnt er in Winterthur und arbeitet als Journalist bei Radio Top. Diesen Sommer verbrachte er den Juli auf der Alp Arni im Kanton Uri. Und nächsten Sommer ist er hoffentlich auch wieder dort.