Die letzten Fragen der Zaungäste

«Hallo – Sie da! Ich hätte noch – ach können Sie mal diesen Hund zurückpfeiffen, ich habe Angst vor Hunden, ja Sie, ich hätte noch eine Fra ... – also bitte überall diese Kühe mit den lauten Glocken, man versteht ja kaum das eigene Wort – ja also, was mich noch interessieren würde ...»


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Ein kleiner Wanderratgeber für Alptouristen, die noch Fragen haben oder welche suchen.

Auf der Weide

Stellen Sie sich vor, Sie sind als Wanderer unterwegs zu einem Pass, ein frisches herbes Herbstlüftchen kühlt angenehm die Schweisstropfen auf der Stirn. Da vorne züngelt ein Bergbach durch die Wiese, ein Elektrozaun mit Handgriff versperrt jetzt den Weg. Da kommt gerade ein Hirt mit Hund um das Zaungerät zu überprüfen. Glück gehabt! Endlich können Sie ihn fragen, was Sie schon immer gern von den ÄlplerInnen gewusst hätten.

  • Müssen Sie hier all diese Kühen melken?

  • Sind die Kühe gefährlich?

  • Beisst der Hund?

  • Ist es nicht ein bisschen einsam auf der Alp?

  • Zwickt der Zaun?

  • Warum machen Sie nicht einen anständigen Beruf?

  • Wo ist denn Ihre Freundin?

  • Was meinen Sie zum Wetter?

Wie auch immer, jetzt zu Hause auf dem Sofa liegend wirken einige dieser Fragen in der Zusammenstellung etwas dumm. Tatsache ist jedoch, dass mindestens eine dieser Fragen in 73,7 % der Fälle gestellt wird, wenn ein Zaungast und ein Älpler unter beschriebenen Umständen zusammentreffen. Das erklärt vielleicht die gelegentlichen unwirschen Reaktionen der ÄlplerInnen. Dem Fragenden ist damit jedoch nicht geholfen. Testen Sie nun ihre alpwirtschaftlichen Vorkenntnisse, indem Sie den folgenden Antworten obige Fragen zuordnen:

  • Das sind keine Kühe, sondern Rinder. Rinder sind noch nicht ganz fertige Kühe, die erst kalbern müssen, damit sie Kühe werden und Milch geben. Damit sie fertig werden, braucht es einen Stierenkatalog, einen tiefgefrorenen Samen in einer grünen Kanüle und einen Tierarzt oder Köfferlimuni.

  • Die weiden hier, damit die Kulturlandschaft erhalten bleibt und die Bauern ausschlafen können und ich noch anderes machen kann, als Fragen beantworten.

  • Melken tut die Melkmaschine, ich bin einer der Maschinisten.

  • Zur Unterhaltung kommen ja Touristen vorbei.

  • Wieso sollte ich, ich habe doch meinen Hund und meine 96 «Mädels» bei mir.

  • Alle Kühe sind rundherum gefährlich. Hinten können sie dich anscheissen oder ausschlagen. Stehst du neben ihnen können sie dir den Schwanz ins Gesicht schlagen oder dir auf die Füsse stehen. Vorne sabbern sie dich mit ihrer schleimenden Nase voll und spiessen dich mit ihren Hörnern auf. Isst du eine tote Kuh und wiegst dich in Sicherheit, infizierst du dich vielleicht mit dem Kreuzfeldt-Jakob-Krankheit.

  • Ja, vor allem die Mutterkühe. Sie verteidigen Ihre Kälber und trampeln arglose Touristen zu Tode. Gerade hier an dieser Stelle vor zwei Wochen ...

  • Ich habe nichts Anständiges gefunden, womit man sonst Geld verdienen könnte.

  • Das kann ich Ihnen morgen sagen.

  • Ja.

  • Nein.

  • Natürlich.

  • Hm.

  • Schon möglich.

  • Grummel.

Frage an Sie: Welche Frage hat Ihnen der Hirt nicht beantwortet?

Bei der Hütte

Natürlich könnten Sie dem Hirt auch bei der Hütte begegnen, einer sonnenverbrannten holzgestrickten Hütte mit kleinem Gärtchen und fulminanter Aussicht. Hier sprudeln Ihnen dann womöglich die folgenden Fragen heraus:

  • Wachsen hier Edelweiss?

  • Kann man hier übernachten?

  • Verkaufen Sie Milch?

  • Wo können Sie sich hier waschen?

  • Gibt es hier ein WC?

oder zu Feststellungen, die Ihnen in dieser Idylle ganz spontan auf die Zunge kommen:

  • Ach ist das Alpenleben schön...

  • Das wäre auch was für mich!

Da wird es für den Hirten einiges schwieriger, Antworten zu geben, die nicht sarkastisch sind. Sie müssen schon verstehen: Solche Fragen und Feststellungen stellen und machen beinahe alle Touristen, so als hätten Sie sie in einem Ratgeber für Alpentouristen gelesen.
 
Stellen Sie sich auf folgende Antworten ein:

  • Sie sind heute schon der Dritte der mich darauf aufmerksam macht. Letzte Woche hatten wir Regen und Schnee. Leider kam da niemand vorbei, um mich dran zu erinnern wie schön ich’s auf der Alp habe.

  • Das sehe ich auch so: Wir arbeiten da wo andere Urlaub machen.

  • Geht leider nicht ohne Älplerlehre. Die geht drei Jahre, im Oktober bis Januar auf dem Maiensäss, vom Februar bis in den Mai Theorie an der Bauernschule, im Sommer jeweils Praktikum, einmal im Tessin, dann Obwaldnerischen und Jura. Zuletzt am Institute of Animal Sciences and Animal Nutrition an der ETH in Zürich an die Prüfung. Zirka 30 Prozent fallen beim ersten Mal durch.

  • Jeder sollte sich einmal einen Wunschtraum erfüllen. Ich selbst bin noch auf der Suche nach einer viehlosen Alp. Dort wäre es nicht so streng was die Arbeit anbelangt, habe ich gehört.

  • Wir machen das täglich, besonders nachts.

  • Da oben in der «Gäch Halde» gibt es jede Menge davon. Doch ich denke sie sind von schlechter Qualität. Nicht einmal das Jungvieh frisst sie.

  • Dusche habe ich hier keine, ich mag diese engen Kabinen nicht, Sie etwa? Zu Hause unter der Brause überkommt mich jeweils die Vorstellung, dass in jedem Moment die Kabinentüre zurückgeschoben wird und der Mörder mir sein Messer in den Rücken stösst. Lieber bade ich im Bach oder im Brunnen.

  • Zum Pissen geh ich dort nach vorne und lasse den gelben Strahl ins Alpenrosengestrüpp plätschern. Muss ich scheissen, nehme ich die Schaufel dort drüben, steche mir einen Grasziegel aus und scheisse ins Loch.

Durch das Zuordnen von Fragen und Antworten haben Sie vielleicht ein wenig das Gefühl bekommen, wo Sie nachhaken können und wo es besser ist, weiter zu ziehen.
Wir wechseln jetzt zur Alphütte mit Stall und Sennerei, also dorthin, wo gemolken wird und Käse produziert. Dies ist der bevorzugte Ort für Zaungäste ihre Fragen zu stellen. Versuchen Sie herauszufinden, wo die Älpler Ihnen einen Bären aufbinden und wo die Antworten ehrlich sind.

Bei der Gadentüre

  • Frage: wo habt ihr denn all die Kühe her?
    Antwort: Die bekommen wir von Bauern zur Verfügung gestellt, und die bekommen wiederum Beiträge dafür, dass sie uns die Kühe zur Verfügung stellen können.
     

  • Melken Sie diese Kühe jeden Tag?
    Genaugenommen melken wir sie jeden Tag zwei Mal, und da wir keine anderen haben, melken wir eben diese.
     

  • Warum ist diese Kuh rot angemalt am Rücken?
    Eine rot-braune Kuh lässt sich besser von nur braunen Kühen unterscheiden. Das rot bedeutet in diesem Fall, dass die Milch dieser Kuh nicht verkäst werden darf.
     

  • Sind die Kessel nicht schwer?
    Nur wenn sie voll sind.
     

  • Wo sind denn die Kühe, ich sehe gar keine?
    Das ist auch mein Problem, und deshalb muss ich jetzt erst mal nach dem Vieh schauen.
     

  • Wohnen Sie hier das ganze Jahr?
    Dann hätte ich Fell, würde Höhlen graben und mich auf den Winterschlaf vorbereiten.

Wir wiederholen diese Übung mit der Konversation in der Sennerei. Hier macht es einen Unterschied, ob Sie höflich anklopfen oder ungefragt die geheiligten Hallen betreten. Meist bringt Anklopfen die seriöseren Antworten.

In der Sennerei

  • Frage: Gibt es hier Milch?
    Antwort: Ja, im Glas und das kostet zwischen vier und fünf Franken, je nachdem von welcher Kuh die Milch stammt. Wir bieten auch «Melken für Touristen» an, aber erst um 4 Uhr morgens. oder:
    Nein, wir selbst trinken keine Milch und haben heute Morgen alle verkäst. oder:
    Ähh, tschuldigung, wir haben gerade Mittagspause und gehen schlafen, wir sind seit 4 Uhr morgens auf den Beinen. Haben Sie das Schild an der Türe nicht gesehen?
     

  • Haben Sie Bier, Cola, Glace?
    Wir haben Bier, Wein und Rivella. Unser Eigenbedarf ist jedoch so hoch, dass wir nichts davon verkaufen können. Anbieten kann ich ihnen frische Kuhmilch und Bergquellwasser in beliebigen Mengen, aber Sie wissen ja: In der Schweiz gibts nichts geschenkt. Glace und Melone sind gerade aus.
     

  • Machen Sie Käse?
    Ja.
     

  • Wer ist der Senn?
    Ich.
     

  • Haben Sie das gelernt?
    Nein.
     

  • Wo bitte ist hier die Toilette?
    Zur Tür hinaus, dann rechts, dann Hundert Meter geradeaus und schon stehen Sie mittendrin.
     

  • Was ist das Gelbe da in der riesigen Pfanne?
    Ah, die Schotte im Kessi, das ist was übrig bleibt vom Käsen, wollen sie es probieren bevor wir darin baden? Ist gut für Gesundheit und Schönheit.
     

  • Davon habe ich schon gehört. Baden alle Älpler im Kessi – Haben Sie keine Dusche?
    Wenn wir im Kessi baden klebt danach die Schotte an unserer Haut. Um die Schotte abzuwaschen, brauchen wir die Dusche.
     

  • Was macht ihr denn abends so?
    Das würde mich auch einmal interessieren. Leider verschlafe ich es immer.
     

  • Man hört ja allerlei von den Alpleuten. Habt ihr im Team Sex miteinander?
    Hört man das bis ins Tal hinunter?? – Mindestens für die ersten sechs Wochen der Alpzeit gilt jedoch: «Auf der Alp da gibt´s koi Sünd, weil die Älpler müde sünd!»

Zum Schluss

Stellen Sie nicht alle Fragen auf einmal. Lassen Sie den ÄlplerInnen für die Antworten Zeit. Versuchen Sie sich einzufühlen, erzählen Sie auch aus Ihrem Leben, aber nicht nur, und bitte: Schenken Sie den ÄlplerInnen das Bier aus Ihrem Rucksack. Falls Sie gemäss Ihrer Erfahrung andere Antwort bekommen als oben aufgeführt, schreiben Sie die bitte unten in das Kommentarfeld. Danke.

«Ja Hallo?! Wo ist denn hier das Kommentarfeld??»