Euterschlaffe Zeiten fürs Berggebiet

Im folgenden Interview stellt sich Eduard Hofer, Vizedirektor beim Bundesamt für Landwirtschaft, unseren Fragen zur künftigen Bergglandwirtschaftspolitik. Wir waren interessiert zu erfahren, wieso er in Zeitungsmeldungen verlauten liess, künftig gäbe es in den Bergregionen wohl nur noch Kühe, die gemästet und deren Milch zu Nischenprodukten verarbeitet werden.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

zalp: Können Sie kurz erläutern was eine Aufhebung der Milchkontigentierung, wie es in der AP 2007 vorgesehen ist, für die Alpwirtschaft bedeutet?

Eduard Hofer: In einem früheren Interview habe ich einmal gesagt, dass nach einer Aufhebung der Milchkontingentierung die Milch vereinzelter Produzenten, das heisst in Gebieten mit ungenügender Milchdichte, nicht mehr abgeholt werden dürfte. Dies wurde dann zur Aussage hochstilisiert, die Milchkuh würde aus dem Berggebiet verschwinden. Das ist ein generelles Problem, das ich mit den Journalisten habe. Oft versuchen sie, meinen vorsichtigen Aussagen etwas konfliktuellen Pepp zu geben. Beim Gegenlesen führe ich sie jeweils wieder auf den ursprünglichen Inhalt zurück. Dieses eine Mal habe ich offensichtlich zu wenig aufgepasst, was in der agrarpolitischen Szene für Wirbel gesorgt hat.

Sehen Sie trotz Auflösung der Milchkontigentierung Möglichkeiten für das Berggebiet seine Milchproduktion zu erhalten?

Selbstverständlich wird im Berggebiet weiterhin Milch produziert werden. Eine Analyse von Professor Lehmann an der ETH Zürich ergab eine Abnahme der Milchproduktion im Berggebiet um 18 %. Wir wissen jedoch, dass die Bauern anders reagieren als ökonomische Modelle und haben deshalb die ETH mit weiteren Untersuchungen beauftragt. Mit einer Befragung der Bauern selbst wollen wir herausfinden, was sie nach einer Aufhebung der Kontingentierung wirklich tun werden. Bis dahin gehen wir vom BLW davon aus, dass im Berggebiet dort weiter Milch produziert wird, wo eine genügende Milchdichte herrscht und vor allem auch dort, wo eine gute Verwertung mit hoher Wertschöpfung besteht. Für hochwertigen Käse fallen die Transportkosten kaum ins Gewicht, dies im Gegensatz zur Milch, in der rund 87 Prozent Wasser mitgeführt werden.

Die Alpsennerei hat in der Schweiz eine alte Tradition. Ohne Milchkühe kann aber kein Alpkäse produziert werden. Wird die Tradition der Wirtschaftlichkeit bei der Milchproduktion geopfert oder werden Milchkühe aus dem Unterland die jetzigen Milchkühe des Berggebiets auf den Alpen ersetzen?

Damit ist auch gesagt, dass die Tradition der Kuhalpung nicht verschwindet. Sie gehört zur Wirtschaftlichkeit einer Kuhhaltung im Berggebiet, der Alpkäse ist in der Regel ja ein Produkt mit hoher Wertschöpfung. Ausserdem besteht keine Gefahr, dass die Alpwirtschaft durch eine Reduktion der Sömmerungsbeiträge gefährdet wird, ist doch die dafür eingesetzte Summe vor zwei Jahren um 40 Prozent erhöht worden. Dass künftig etwas mehr Kühe aus dem Unterland z’Alp gehen, ist wohl möglich, aber eigentlich lässt sich die Frage heute nicht beantworten.

Alpkäse hat im Gegensatz zum Talkäse keine Absatzprobleme. Müsste nicht mehr Alpkäse produziert werden?

Tatsächlich kennen viele Alpkäse keine Absatzprobleme, was eine grosse Chance für die Alpwirtschaft ist. Wo die Nachfrage wirklich gross ist, besteht auch kein Anlass, die sinkende Tendenz beim Milchpreis mit zu machen. Die Absatzmöglichkeiten und der Preis sollen jedoch in erster Linie jene Anreize sein, welche allenfalls eine Mehrproduktion auslösen; und nicht irgendwelche zusätzlichen staatlichen Massnahmen. Unterstützung findet der Absatz natürlich, wenn der Name des Alpkäses als Ursprungsbezeichnung geschützt werden kann, wie dies beispielsweise beim Etivaz aus dem Pays d’Enhaut im Kanton Waadt der Fall ist. Seit diesem Sommer hat auch der Formaggio d’alpe ticinese seine geschützte Ursprungsbezeichnung (AOC) und der Berner Alpkäse ist auf dem besten Weg dazu.

Gemäss Forschungsresultaten der FAM sind Produkte aus Alpenmilch infolge veränderten Fettsäuremustern gesünder. Dieses Phänomen ist der Alpenvegetation als Futtergrundlage zu verdanken. Müsste deswegen das Alpgebiet nicht erst recht zum Milchproduktionsgebiet erklärt werden?

Es ist naheliegend, dass solche Vorteile unserer Naturprodukte vermehrt als Verkaufsargument genutzt werden müssen.

Wo müsste Ihrer Meinung nach rein ökologisch betrachtet Milch produziert werden, im Berg- oder/und Talgebiet?

Kühe sind die schwersten Tiere, die bei uns auf den Weiden grasen. An Steilhängen und bei Nässe verursachen sie die grössten Schäden und den höchsten Aufwand zur Wiederherstellung. Wahrscheinlich wäre es nicht falsch, wenn auf den steilsten heute mit Milchkühen bewirtschafteten Betrieben künftig junge Rinder, Ziegen, Schafe oder Lamas gehalten würden und die Milchproduktion andern Betrieben im Berg- oder Talgebiet überlassen würde. Unter Einhaltung des ökologischen Leistungsnachweises ist die Milchproduktion in beiden Regionen unproblematisch. Der Kostenunterschied zwischen Berg und Talgebiet dagegen dürfte bei der Milchproduktion grösser sein als bei der Viehaufzucht. Deshalb galt früher die reine Milchproduktion im Tal- und die Aufzucht im Berggebiet als traditionelle Arbeitsteilung, welche bei Einführung der Milchkontingentierung als gefährdet deklariert wurde. Um sie zu erhalten, wurden die Zusatzkontingente für aus dem Berggebiet zugekaufte Tiere eingeführt. Beim Kontingentshandel wurde dann allerdings der Verkauf von Kontingenten vom Berg- ins Talgebiet grundsätzlich verboten. Als Ausnahme kann ein Bergbauer, der die Aufzucht von einem Talbauern übernimmt, diesem sein Kontingent für die Dauer der Zusammenarbeit abtreten. Auch hier gab es wieder Leute, die einen massiven Milchabfluss befürchteten. Es zeigte sich, dass in den beiden ersten Jahren über diesen Kanal per Saldo gleich viel Kontingent ins Tal floss wie durch normale Übertragungen vom Tal- ins Berggebiet zurück kam. Innerhalb des Berggebietes gab es allerdings Regionen mit Verlusten und solche mit Gewinnen. Meine Schlussfolgerung ist die, dass die Bauern ohne komplizierte Regelungen auf ihren Betrieben wahrscheinlich ökologisch und ökonomisch noch vernünftiger produzieren würden.

Ein grosser Teil der Biobetriebe liegt heute im Berggebiet. Könnte bei einer Verschiebung der Milchproduktion ins Tal die Nachfrage nach Biomilch gesättigt werden? Würde dies eine Ökologisierung des Talgebietes beschleunigen?

Die Nachfrage nach Biomilch ist eine Chance sowohl für das Berg- als auch für das Talgebiet. Die biologische Produktion verursacht auf Grünland weniger Zusatzaufwand als im Ackerbau. Der Grünlandbetrieb hat diesbezüglich im Talgebiet kaum Nachteile gegenüber dem Bergbetrieb. Die Nachfrage nach Biomilch wird deshalb befriedigt werden können, auch wenn sie noch beträchtlich steigt, solange die Preisdifferenz zur normalen Milch genügt. Über diese Differenz wird das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Bioprodukten reguliert. Solange weder im Berg- noch im Talgebiet alle Bauern biologisch produzieren, führt ein Nachfragewachstum bei der Biomilch zu einem kleinen Ökologisierungseffekt in beiden Regionen.

War die industrielle Milchproduktion in der Schweiz in den letzten zehn Jahren wirtschaftlich gesehen gewinnbringend? Wird sie es in den kommenden Jahren sein?

In der Schweiz haben wir keine industrielle Milchproduktion. Betriebe mit mehr als 100 Kühen sind selten. Alles sind bäuerliche Betriebe, in denen eine Person oder Personengemeinschaft nicht nur das Kapital investiert, sondern auch den Betrieb führt und darauf arbeitet. Ausnahmen sind die Staats- und wenige andere Verwalterbetriebe. Das ist von der Verfassung her so angelegt (Art. 104 Abs. 2 BV) und wird durch den Ausschluss nichtbäuerlicher Betriebe von den Direktzahlungen und den Investitionshilfen sichergestellt. Eine Industrialisierung mit einigen 100 oder einigen 1000 Kühen im selben Betrieb - man hört, in den USA greife so etwas um sich - ist bei uns nicht zu befürchten. Eine andere Frage ist, ob die Milchproduktion bei uns in den letzten 10 Jahren gewinnbringend war oder nicht. Einerseits erreicht ein sehr grosser Teil der Milchproduzenten ungenügende Einkommen. Das hat unserer Auffassung nach etwas mit der Struktur zu tun. Die heute verfügbare Technik erlaubt einer Person zum Beispiel 60 Kühe zu melken, während heute im Durchschnitt drei Personen am Morgen und am Abend dafür im Stall sind. Anderseits werden hohe Preise für den Kauf und die Miete von Kontingenten bezahlt. Das zeigt, dass eine genügende Zahl der heutigen Milchproduzenten ihre Zukunft in der Milchproduktion sieht.

Die Fleischproduktion im Talgebiet nimmt zu. Die Fütterung mit eigenem Mais lässt die Rinder schneller Rindfleisch werden. Wird die Fleischproduktion im Berggebiet längerfristig eine Zukunft haben oder ebenfalls wegrationalisiert?

Nach der Verfassung leistet die Landwirtschaft einen Beitrag nicht nur zur sicheren Versorgung der Bevölkerung, sondern auch zur Pflege der Landschaft und zur dezentralen Besiedlung (Art. 104 Abs. 1 BV); und zwar durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion. Es kann deshalb nicht in Frage kommen, das Berggebiet brachfallen zu lassen oder das Land nur noch mit minimalem Aufwand ohne Produktion zu pflegen. Das Landwirtschaftsgesetz sorgt dafür, dass die Produktion auch im Berggebiet erhalten bleibt. Artikel 4 verlangt, dass die erschwerenden Produktionsbedingungen berücksichtigt werden. Für den Bau von Ställen werden im Berggebiet nicht nur Investitionskredite, sondern zusätzlich auch Beiträge à fonds perdu bezahlt. Ausserdem ist ein grosser Teil der Direktzahlungen für das Berggebiet an die Haltung von Tieren gebunden. Ob dann Milch oder Fleisch produziert wird, soll ein unternehmerischer Entscheid des Bergbauern bleiben.

Manche Bergregion (z.B. das Berner Oberland) setzt bei seinen Tourismuskampagnen auf die Vermarktung von idyllischer Alpkultur und natur- und tiernaher Milchprodukte. Machen diese Werbestrategien einen Sinn?

Natürlich machen diese Strategien einen Sinn. Das Berggebiet beginnt sich auch langsam dagegen zu wehren, dass die Alpkultur als Argument für den Verkauf von Produkten aus dem Talgebiet missbraucht wird.

Im Zuge der QS-Alp wurden Millionen in den Umbau von Alpsennereien investiert. Werden diese Sennereien noch benutzt werden in zehn Jahren? Wenn nein, wie werden diese Ausgaben gegenüber den SteuerzahlerInnen gerechtfertigt?

Der grösste Teil der modernen Sennereien wird auch in 10 Jahren noch benutzt werden. Da bin ich zuversichtlich. Einem vernünftigen Strukturwandel wird man sich jedoch nicht verschliessen können. Wo es sich geografisch machen lässt, sollten nicht drei Leute an drei Orten am Kessi stehen, wenn es einer machen könnte. Ausschlaggebend für einen solchen Rationalisierungsschritt wird jedenfalls der Absatz von Alpkäse sein, für dessen Förderung hervorragende Argumente zur Verfügung stehen. Diese werden schliesslich auch in der vom Bund mit 50 Prozent der Kosten unterstützten Basiswerbung durch die Organisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) und den Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verband (SAV) eingesetzt.
 


Eduard Hofer (Jahrgang 1945) ist seit 1997 Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW). Er leitet die Hauptabteilung Produktion und Internationales. Nach einer landwirtschaftlichen Lehre in der Deutschschweiz und in der Romandie und dem Besuch der Landwirtschaftsschule Cernier (Kanton Neuenburg) schloss er 1972 seine Studien an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich als Ingenieur-Agronom ab. Den Doktortitel erlangte er 1981.19 Jahre war Eduard Hofer beim Schweizerischen Bauernverband tätig, davon 9 Jahre als Chef der Schätzungsabteilung. 1992 wechselte er zum BLW. Eduard Hofer ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.