Kommt ein Hüttli geflogen

Eine Alphütte macht mehr Weide als man denkt. Wenn die Schafe zu weit weg weiden, lässt die Behirtung nach oder die Kraft des Hirten. Ohne seriöse Behirtung fressen die Schafe jedoch die Weide arm. Also könnte man sagen: Bau mir eine Weide um die Hütte oder bau mir eine Hütte in die Weide.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Die spinnen die Sufner!

Dies ist wohl der erste Gedanke von Augenzeugen, die am 15. Juni 2006 am Dorfrand von Sufers ein Haus abheben und in eleganter Kurve durch die Luft ins Val Suretta verschwinden sehen. Dort oben aber macht sich Augenblicke später auf einer Hangterrasse Hektik breit, als am Horizont zwei Punkte auftauchten und schnell grösser werden: Oben ein dröhnendes Ungeheuer, unten schwebend eine fixfertige Holzhütte, und dazwischen 30 Meter stählerne Nabelschnur.

Mit höchster Präzision manövriert der Pilot seinen Super Puma heran und setzt die sperrige, 3.1 Tonnen* schwere Fracht millimetergenau auf sechs Pfeiler. Der Flughelfer löst das Seil und Reto Heinz, Alpmeister von Alp Suretta, atmet auf. «Passt haargenau», meint er erleichtert. «Nach zwei Jahren Schwangerschaft ist das Kind endlich geboren...»

Zwei Stunden später ist die neue Schäferhütte mit Stahlseilen und Ankern an Felsblöcken festgezurrt, Türen und Fensterläden eingehängt, der Küchenkasten eingeräumt und die Betten mit «lanamontana»-Duvets aus Suretta-Wolle frisch bezogen.

Freier Weidegang: Risiko und aufwändige Nachsuchen

Die Flanken der Val Suretta (Graubünden) sind sehr steil, felsig und steinschlaggefährdet. Hoch über dem Tal bis auf 2700 m ü. M. laufen ca. 400 Schafe. Tausend Meter tiefer liegt die alte Alphütte im Talgrund. Auf den Böden weiden 30 Stück Galtvieh. Dazu kommen einige Pferde, Esel und 25 Ziegen. Wegen der grossen Höhenunterschiede, der akuten Steinschlaggefahr und wegen der Priorität auf dem Vieh wurden die Schafe traditionsgemäss im freien Weidegang gehalten. Die Hirten kontrollierten die Herde vornehmlich per Feldstecher und drückten sie sporadisch hinunter. Da konnte es bei kurzfristigen Wetterumstürzen dramatisch werden. So etwa Ende Sommer 2002, als der Hirte vom Schnee überrascht wurde und die Schafe nicht mehr herunter brachte. Bei der Schafscheid in Sufers fehlten über vierzig Tiere. Am Schluss blieben trotz wochenlangen Suchaktionen dreizehn Schafe verschollen.

Ständige Behirtung in anspruchsvollem Gelände

Im Sommer 2003 wagte eine neue Hirtschaft allen Unkenrufen zum Trotz den Versuch einer ständigen Schafbehirtung. Unterstützt vom Alpmeister arbeiteten sie mit stromgeladenen, wildfreundlichen Stoppzäunen, natürlichen Grenzen und Hütehunden. So konnte die Herde in kontrollierten Räumen zusammengehalten und täglich eng betreut werden. Das verlangte dem Personal sehr lange Tage und ein enormes Laufpensum ab. Aber das Experiment gelang. Seit Einführung des neuen Systems fehlen auf Suretta Ende Alp nur noch 2 – 3 Schafe, der Lämmersegen ist mehr als doppelt so gross als vorher, die Weiden sind viel ausgeglichener genutzt, und die herbstlichen Suchaktionen entfallen komplett.

Doch für die Alpmeister, Anna Christina und Reto Heinz, war unbefriedigend, dass eine ständige Schafbehirtung auf Suretta nur mit überdurchschnittlichem Einsatz der Hirtschaft gewährleistet werden konnte: «Es geht nicht an, von den Hirtinnen und Hirten Höchstleistungen zu erwarten, als Alpgenossenschaft aber wenig beitragen zu können», meinten sie und suchten nach Lösungen. Die Idee kam von Valentin Luzi, Chef des Bündner Landwirtschaftsamts. «Warum werden Hirtenhütten nicht serienmässig und somit kostengünstig vorfabriziert und fixfertig in abgelegenen Alpen geflogen?» fragte er in einen Saal voller Alpmeister anlässlich einer Schafalpen-Tagung. Einer der Zuhörer fing den Ball: Reto Heinz. Zusammen mit der Alpgenossenschaft und den Hirten initiierte er das Pilotprojekt «Mobile Schäferhütte in Fertigbauweise» mit folgenden Vorgaben: Die Hütte soll den Hirten Schutz und ausreichend Komfort bieten, sie muss auf eine Lastwagenbrücke passen (2.5 m x 5.0 m) und ein Maximalgewicht von 2,4 Tonnen* haben, sie muss von einem Heli transportiert werden können und erheblich billiger sein als der Bau einer herkömmlichen Hütte. Dann wurden Pläne gezeichnet und Geldgeber gesucht. Mit Erfolg. Das Modellprojekt erhielt finanzielle Starthilfe des Kantons Graubünden, und die Schweizer Berghilfe übernahm die verbleibenden Kosten für den Bau, den Transport und die Montage des Prototyps.

Erfolgreiches Pilotprojekt

Die Gesamtkosten des Modellprojekts liegen mit Fr. 58’000 etwa 30 Prozent unter den üblichen Baukosten für eine Hütte in abgelegenem Gelände ohne Zufahrt.

Und die neue Schäferhütte im Val Suretta hat sich bestens bewährt. Für die Hirtschaft entfallen während des halben Sommers die steilen Auf- und Abstiege, und sie finden auf 2200 m ü. M. komfortablen Schutz vor Unwettern. Das erleichtert eine kontrollierte Weideführung, eine sorgfältige Gesundheitsbetreuung der Schafe und verschafft dem Personal mehr Zeit und Ruhe. «Vorteil über Vorteil!» meint Elisabeth Mock, seit vier Sommer Hirtin auf Alp Suretta, und fügt augenzwinkernd hinzu: «In diesem Adlerhorst ist man wunderbar geschützt vor neugierigen TouristInnen. Die Schafherde lässt sich vom Kajütebett aus bestens überblicken, und die Alpmeisters sieht man schon von weitem kommen...»

* Die Gewichtslimite von 2.4 Tonnen wurden im Fall des Prototyps stark überschritten, weil die Hütte vor dem Transport einen nassen Winter lang draussen gestanden hatte. Vermutlich nahm das Holz sehr viel Wasser auf und legte massiv an Gewicht zu.

Weitere Auskünfte
Reto Heinz, Stückli, 7434 Sufers
Tel. 081 664 16 02, Natel 079 336 33 53
reto.heinz@bluewin.ch www.lanamontana.ch


Peter Lüthi hütete während sieben Sommern grosse Galtviehherden auf der Alp Preda-Sovrana (Val Madris) und auf Alp Funtauna und wird dieses Jahr seinen fünften Sommer auf Alp Suretta hirten. Ansonsten engagiert er sich als freier Mitarbeiter bei der Stiftung BioVision für Entwicklungsprojekte in Ostafrika www.biovision.ch.