So wirtschaftlich wie möglich ...

Im Sommer 1999 bekamen die ÄlplerInnen einen Fragebogen zugeschickt, in dem sie aufgefordert wurden Fragen rund ums z‘Alp gehen zu beantworten. Im Mai dieses Jahres verfasste Christine Rudman, die Absenderin der Post, einen Zwischenbericht über ihre Arbeit. Grund genug für zalp, nachzufragen, wie es bei der Wissenschaft rund um unseren Arbeitsplatz aussieht.


                        
                            
    
    


                        
                    

                    
                

Das Interview führte Magnus Furrer

zalp: Frau Rudman, was sind ihre persönlichen Erfahrungen bezüglich Alp?

Christine Rudman: Ich war die letzten vier Sommer auf der Alp. Das war eine Genossenschaftsalp im Kt. Graubünden mit Milchkühen, Rindern und wenigen Mutterkühen. Das erste Jahr war ich als Zusennin da, die nächsten drei habe ich die Alp übernommen und den Käse selber gemacht.

Aus dieser Alperfahrung fanden sie die Motivation für diese Dissertation?

Ungefähr, ja. Ich habe mit dem z‘Alp gehen nach dem Studium angefangen und konnte nach dem ersten Alpsommer eine Arbeit hier am Institut beginnen. Während dieser Zeit hat sich die Gelegenheit ergeben eine Dissertation über die Alpwirtschaft zu machen.

Die Arbeit versucht das ganze Umfeld der Alpwirtschaft zu beleuchten, sie ist sehr breit angelegt. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Während der Alpzeit habe ich aus Diskussionen erfahren, dass die Alpwirtschaft irgendwie gefährdet scheint. Der erste Alpsommer hat mich so begeistert, dass ich fand, die Alpwirtschaft muss erhalten bleiben. So ergab sich das Thema.

Warum scheint die Alpwirtschaft gefährdet?

Auf der Alp, wo ich war, stellte sich die Frage, wie es überhaupt weitergehen soll. Wegen den Vorschriften zur Qualitätssicherung (QS) standen Investitionen an, die sich die Bauern nicht leisten konnten. Die Frage war: Gibt es Möglichkeiten, die Alp zu erhalten? Meine Vorgängerin hatte aus eigenen Erfahrungen über Probleme berichtet, wie viele Menschen im Umfeld der Alp.

In Ihrer Arbeit ist Nachhaltigkeit ein zentraler Begriff. Was verstehen Sie genau darunter?

In meiner Arbeit verstehe ich darunter die langfristige Überlebensfähigkeit der Alpbetriebe. Langfristig heisst 20-25 Jahre. Nachhaltigkeit ist ein sehr breites Thema, man muss alle drei Dimensionen berücksichtigen, die in der Theorie der Nachhaltigkeit vorhanden sind: Nicht nur das Wirtschaftliche, sondern auch das Ökologische und Soziale.

Ist denn die jetzige Bewirtschaftsform nicht nachhaltig?

Nein.

Warum nicht?

Ich denke, früher war sie es. Die Welt hat sich verändert. Die Gesellschaft ändert sich, die Strukturen ändern sich, man kann nicht so weitermachen wie früher. Das grösste Problem liegt beim Wirtschaftlichen.

Die Wirtschaftlichkeit spielte doch früher eine grosse Rolle. Man hat genommen, was die Alp hergab, was war denn früher besser, was war wirklich nachhaltig?

Das Wesentliche ist, dass früher die Alpwirtschaft als Teil der Landwirtschaft einen sehr viel grösseren Stellenwert hatte in der Gesellschaft. Es gab viel mehr Bauern, man musste sich nicht die Mühe geben, die Alpwirtschaft zu erhalten, sie war eine Selbstverständlichkeit. In der Schweiz arbeitet nur noch ein sehr kleiner Prozentsatz in der Landwirtschaft. Die Lebensgrundlage im Sinne der Landwirtschaft wird immer weniger wichtiger; die Nahrungsmittel werden anderswo viel billiger hergestellt. In einem kleinen Bergland wie der Schweiz ist die Landwirtschaft nicht rentabel.

Ist es denn so wichtig, dass es die Alpwirtschaft gibt?

Es kommt auf den Blickwinkel an. Von der Lebensmittelproduktion her ist die Alpwirtschaft nicht mehr wichtig, genau so wenig wie die Landwirtschaft in der ganzen Schweiz; das wäre in anderen Ländern viel besser und effizienter lösbar. Aber ich denke, und das ist nicht nur mein Gedanke, sondern der Politik und der Gesellschaft, dass die Landwirtschaft und die Alpwirtschaft als Teil davon ihre Berechtigung hat, weiter zu existieren: Einerseits ist es ein Teil Kultur, gerade in der Bergregion ist die Landwirtschaft sehr wichtig, andererseits die Landschaftspflege, des weiteren ist die Berglandwirtschaft enorm wichtig für den Tourismus. Tourismus ist ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Landes. Man könnte nicht die Berglandschaft verwildern lassen, denn der Tourismus hängt davon ab.

In Ihrem Zwischenbericht beschreiben Sie, wie schlecht die Alpwirtschaft ihr Potential bezüglich Tourismus ausnützt. Wie soll sich dies ändern?

Es ist wichtig, dass die Landwirte begreifen, dass sie Rücksicht nehmen sollen auf den Tourismus, weil es für sie von Vorteil ist auch für den Geldbeutel, weniger auf kurze Sicht, aber längerfristig auf jeden Fall.

Was heisst das im Alltag auf der Alp. Wer soll sich um den Tourismus kümmern?

Indirekt ist es die Aufgabe der Landwirte. Sie müssen zuerst bereit sein, mit dem Tourismus zusammenzuarbeiten , erst dann kommt das Konkrete: Sie müssen im Alppersonal verständlich machen, oder nur solches anstellen, das bereit ist, mit dem Tourismus zusammenzuarbeiten. Wie das denn auf jeder einzelnen Alp aussieht kommt auf die Verhältnisse an. Dort wo ich war, da hatten wir Direktverkauf. Wir mussten bereit sein, mit diesen Leuten zu reden.

Das heisst, das Alppersonal muss diese Mehrbelastung übernehmen. Ist es denn mit der eigentlichen Alparbeit nicht schon genug ausgelastet?

Ich denke, wenn es nur ein wenig Direktverkauf ist, kann man das jedem Alppersonal zumuten, sobald es mehr wird, muss man schauen, wie das für die ÄlplerInnen befriedigend ist. Auf der Alp, wo ich war, hatten wir einen Vertrag mit den Bauern, dass wir den Ziger auf eigene Rechnung herstellen konnten. Den verkauften wir den Touristen und hatten so eine Abgeltung.

Es wird jedes Jahr schwieriger, Alppersonal zu finden. Attraktiv scheint der Älplerberuf nicht zu sein.

Es kommt darauf an, was man will. Es scheint so, dass er je länger je mehr weniger attraktiv wird.

Die Ansprüche ans Alppersonal steigen, trotzdem weiss niemand, wie mehr Leute motiviert werden können, auf die Alp zu gehen. Gibt es keine Möglichkeiten, um diesem Missstand zu begegnen?Doch, ich denke schon, dass es sie gibt. Was man immer wieder hört, dass die Leute, die z‘Alp gehen, eine grössere Arbeitsbelastung vorfinden als sie erwartet haben und deshalb z. T. schon Mitte Sommer abspringen. Dem kann man z. B. entgegenwirken, dass man wirklich informiert und auch das berücksichtigt, was diese Leute wollen.

Sie unterteilen die Alpwirtschaft und ihr Umfeld in verschiedene Anspruchsgruppen: Alpbewirtschafter, Alppersonal, Tourismus, Gewerbe und Handel, Behörden, KonsumentInnen etc. Die mit Abstand wichtigsten sind die beiden Erstgenannten. Wie beurteilen Sie ihre Zusammenarbeit?

Diese Zusammenarbeit ist besser als die zwischen den Alpbewirtschafter und den anderen Anspruchsgruppen.

Sie beschreiben, dass die Alpbewirtschafter sehr Mühe haben, auf die anderen Anspruchsgruppen einzugehen, d.h. auch auf das Alppersonal.

Zum Teil ja. Doch zum Alppersonal bestehen trotzdem am wenigsten Probleme, weil die Alpbewirtschafter mit dieser Anspruchsgruppe zusammen arbeiten müssen. Ich will damit nicht sagen, dass keine Schwierigkeiten existieren.

Die Alpbewirtschafter sagen in Ihrer Arbeit, dass sie wenig Probleme haben mit dem Alppersonal, Das Gegenteil ist vom Alppersonal zu hören, Ihre Arbeit werde zu wenig geschätzt, zu wenig Vertrauen vorhanden sei.

Es gibt Möglichkeiten, wie Weiterbildungkurse und Veranstaltungen, wo die Alpbewirtschafter informiert werden, auch gemeinsam mit dem Alppersonal. Ich kann nicht viel sagen, da ich erst den Istzustand aufgenommen habe, das Wie verändern folgt in einem späteren Schritt.

Welche Rolle spielt die Politik in der Alpwirtschaft.

Sie spielt eine sehr grosse Rolle. Sie stellt die Rahmenbedingungen vor mit Verordnungen, z. B. Qualitätssicherung, Die Politik unterstützt zudem die Alpwirtschaft mit Sömmerungsbeiträgen, Investitionskredite etc. Die Politik ist von der unterstützenden wie von der einschränkenden Seite bestimmend.

In ihrer Arbeit beschreiben Sie, was passieren würde, wenn die Sömmerungbeiträge gekürzt werden. Gehen Sie davon aus, dass mit der Liberalisierung längerfristig weniger Geld in die Alpwirtschaft fliessen wird?

Das ist eine schwierige Frage. Bis vor kurzem war ich überzeugt davon. Jetzt frage ich mich. Von meiner Arbeit wird erwartet, wie in Zukunft die Sömmerungsbeiträge gestaltet werden sollen. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass es nicht viel nützt, nur die Alpwirtschaft erhalten zu wollen und die Landwirtschaft auf der Seite zu lassen. Eigentlich müsste eine solche Arbeit über die ganze Landwirtschaft gemacht werden.
 

 
Es wird doch auch in fünfzig Jahren in der Schweiz eine Landwirtschaft geben?

Sicher. Die Frage ist nur, wie sie aussehen wird.

Die Politik spielt doch eine viel grössere Rolle für die Alpwirtschaft als die Alpbewirtschafter, die sich in erster Linie nach den Sömmerungsbeiträgen richten.

So kann man das nicht sagen. Sicher spielen die Sömmerungsbeiträge eine grosse Rolle für die Erhaltung der Alpwirtschaft.

Das heisst, die Wirtschaftlichkeit der Alpwirtschaft ist sekundär, weil sie nie rentieren wird. Wäre es da nicht sinnvoller, die Alpwirtschaft als Teil unserer Gesellschaft zu untersuchen als aus wirtschaftlicher Sicht, wie sie es in ihrer Arbeit tun.

Ich bin einverstanden, dass die Gesellschaft für die Alpwirtschaft wichtig ist, dass sie sich danach ausrichten muss, darum der Ansatz mit den verschiedenen Anspruchsgruppen. Aber man kann nicht sagen, die Alpwirtschaft ist sowieso nicht rentabel, wieso sollen wir uns denn mit der Wirtschaftlichkeit befassen. Die Alpbewirtschafter müssen ein Signal senden, ‚wir wollen so viel wie möglich selber erarbeiten‘ und den Rest bezahlt die Gesellschaft, die ein Interesse an der Alpwirtschaft hat. Sie müssen einen grossen Beitrag selber leisten, d.h. wie kann die Alpwirtschaft so wirtschaftlich wie möglich sein.

Die Vermarktung ist sehr wichtig. Ist da Potential vorhanden?

Auf jeden Fall. Wenn man die Antworten in den Interviews bezüglich Export betrachtet, wird in der Hinsicht ein grosses Potential gesehen.

Wer soll diese Vermarktung übernehmen. Sind es die einzelnen Alpbetriebe, Alpgenossenschaften?

Es gibt wenige Vermarktungsorganisationen, Beispiele gibt es im Berner Oberland mit Casalp oder in der Westschweiz, Etivaz. In der Ostschweiz gibt es nichts in der Art. Kleinere Bestrebungen sind im Gange, z. B. im Prättigau. In der Hinsicht muss sicher noch viel getan werden.

Viele Alpen verganden. Es wird jetzt schon viel weniger Fläche bewirtschaftet als früher.

Das stimmt. Der Naturschutz stellt nicht die Forderung, es müssten weitere Alpen verganden. Dem Naturschutz ist es nur wichtig, dass beides vorhanden ist. Das ist die eine Seite. Auf der anderen wollen sie, dass die Bewirtschaftung ökologisch ist, dass Übernutzungen, Überbestossungen vermieden werden.

Gibt es Alpen, die über die Nutzung irreversible Schäden genommen haben?

Heute dürfte das Bewusstsein da sein, die Bewirtschaftung anzupassen.

Das Bewusstsein ist doch nicht wirklich vorhanden. Eigentlich geht es darum, genug Tiere auf der Alp zu haben, um die vollen Sömmerungsbeiträge zu erhalten. Der Naturschutz spielt untergeordnete Rolle.

Die Sömmerungsbeiträge sind zwar wichtig, aber wichtiger, mit Einschränkungen, sind die Arbeits- und Futtermitteleinsparung. Die Futtergrundlage wird erweitert, indem die Tiere auf die Alp gegeben werden, das ist in jedem Alpungssystem sehr wichtig.

Die Sömmerungsbeiträge haben doch wirtschaftlich eine immens wichtige Funktion.

Nicht so. Ich habe einige Berechnungen für Genossenschaftsalpen gemacht, und da hat sich gezeigt, dass die Arbeits- und Futtermitteleinsparung wichtiger ist als der Sömmerungsbeitrag und der Ertrag aus dem Käseverkauf.

Wie sieht die Alpwirtschaft in 20 Jahren aus?

(zögert lange)...Auf den Alpen selber wird es nicht viel anders aussehen. Was sich ändern sollte ist das ganze Drumherum, indem die Alpbewirtschafter besser darauf eingehen, was die anderen Anspruchsgruppen möchten, wie sie die Alpwirtschaft verkaufen.

Es besteht nur ein Vermarktungsproblem?

Jjjjaa, man könnte es so ausdrücken, vielleicht etwas extrem. Man muss dann das Wort Vermarktung sehr weit fassen, eben so, wie ich es versuche in meiner Arbeit zu umschreiben, dass die sozialen und ökologischen Anliegen berücksichtigt werden.
 

Christine Rudman
Christine Rudman (31), dipl. Agr./Ing. ETH, arbeitet am Institut für Agrarwirtschaft der ETH Zürich an einer Dissertation mit dem Titel Voraussetzungen für die langfristige Sicherung der Nutzungs- und Bewahrungsfunktion der Alpbetriebe in der Schweiz. In ihren Studien befasst sie sich mit sämtlichen Gruppen, die eine direkte Beziehung zur Alpwirtschaft haben. Die Arbeit wird zu 2/3 vom Bundesamt für Landwirtschaft, der Rest von anderen öffentlichen Institutionen (ETH, Kantone) finanziert. Ziel der Arbeit ist es, eine Vision (Leitbild) für eine nachhaltige Alpwirtschaft in der Schweiz zu entwickeln und deren mögliche Umsetzung aufzuzeigen. Die Arbeit soll Ende 2002 abgeschlossen sein.

Kommentar

Nachhaltigkeit ist ein Modebegriff: Die Nutzung der Meere, der Tropenwälder muss nachhaltig, der Energieverbrauch möglichst nachhaltig, die Landwirtschaft soll es ebenfalls sein. Anfang der 70er Jahre warnte der Club of Rome (Vereinigung führender Vertreter der westlichen Wissenschaft) , bei einer gleich bleibenden Ausbeutung und Verschmutzung der Natur kollaboriert das Ökosystem. Ein Aufschrei ging um die Welt. Diese Leute konnte man schliesslich nicht nach Moskau schicken. In den 80er Jahren setzte das Waldsterben, Tschernobyl und Schweizerhalle noch eins oben drauf. Ökologie wurde zum Thema. Nachhaltigkeit war angesagt.

Nun, wie das so ist in einem marktwirtschaftlichen System: die nächste Krise kommt bestimmt. In den 90er Jahren hatte sich die Nachhaltigkeit immer mehr nach den Marktkräften zu richten. Ökologie und soziale Anliegen wurden zwar weiterhin in die Diskussion mit einbezogen, es musste einfach «so wirtschaftlich wie möglich» sein.

So erstaunt es nicht, dass Ende der 90er Jahre ausgerechnet am Institut für Agrarwirtschaft, Gruppe Betriebswirtschaft und Ökonomie des ländlichen Raumes der ETH Zürich eine Dissertation entsteht zum Thema der Nachhaltigkeit in der Alpwirtschaft.

Mit Messungen und Berechnungen wird versucht, die Alpbetriebe längerfristig und nachhaltig zu sichern. Es entsteht ein Leitbild, das den verschiedenen regionalen Traditionen und Strukturen kaum Beachtung schenkt. Der Druck auf die Alpen dürfte mit solchen Arbeiten zunehmen, ein nächster Schritt zur Einheitsalp getan. Die QS-Verordnungen lassen grüssen.