Ungekocht und ungebraten: Die Rohmilch auf der Alp

Auf der Alp Rohmilch verkaufen ist laut der Lebensmittelverordnung verboten. Was meinen ÄlplerInnen und zu diesem unsinnigen Verbot und was tun sie dagegen oder trotzdem? Wir haben uns umgehört und geben Tipps zum rohen Ungehorsam.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Milchalpen werden jährlich auf Hygiene kontrolliert. Das ist gut so, sonst kämen manche sonderlichen Käse auf den Markt, die dem guten Image des Alpkäse schaden würden. Kontrolle bedeutet, dass die Kontrollierten sich um das Wissen kümmern, die Kontrolle zu bestehen – die Hygienekontrolle macht somit die Hütte sauber, bevor sie über die Schwelle tritt. Das Lebensmittelgesetz aber traut den Kontrollen nicht und lässt zum Beispiel Rohmilch auch in sauberen, kontrollierten Betrieben nicht zu. Ihr Verkauf ist verboten, im Tal, wie auf der Alp.

Die weisse Keimschleuder im Glas

Rohmilch enthält mehr Keime als pasteurisierte, sowohl Schmutz- als auch gute Milchsäurebakterien. Inwieweit dies beim Verzehr gefährlich oder nützlich für den Menschen ist, ist für die Lebensmittelverordnung klar: potenziell schädlich. Von Leuten, die täglich unterm Mikroskop Bakterien aufspüren, Keime zählen, dies in Tabellen eintippen, dann nach Grenzwerten suchen und die Kuh nur vom Kalenderbild her kennen, von ihnen ist nicht zu erwarten, dass sie etwas von Lebensmittel verstehen. Daher können sie gut behaupten, dass eine ultrahocherhitzte und sterilisierte Milch „gesünder” ist, als Rohmilch. Gerne würden wir noch anhängen, dass die Industrie an der Rohmilch nicht verdienen kann und ein Lebensmitteltechniker durch Nichtstun keinen Lohn erhält, aber das sind andere Geschichten.

Aussagen ausschenken

Wir haben ein paar ÄlplerInnen befragt, wie sie mit dem Verbot umgehen und was sie davon halten.

Insgesamt finden alle Angefragten das Verbot ausserhalb des gesunden Menschenverstandes, die meisten schenken Rohmilch aus, die einen mit zusätzlicher Information, die anderen nicht. Die Alp Arnischwand OW verkauft seit Jahren in ihrem Alpbeizli Pastmilch, auch fürs Kesseli der Feriengäste. Es gäbe Leute, die wollten unbedingt Rohmilch und die bekämen sie auch, sagt Ida Müller auf unsere Anfrage. Selber findet sie die Vorschrift übertrieben.

Ärgern und sorgen. Anne Krüger und Reiner Schilling von der Alp Mutten GR verkaufen bis zu 300 Liter Milch an Ferienhausbewohner und Wanderer. Da die Alpkontrollen ab nächstem Jahr vom Kantonschemiker (kennt sich mit den Gesetzen aus) und nicht mehr vom Milchinspektor (kennt sich mit den Begebenheiten auf der Alp aus) gemacht werden, macht sich Anne Krüger Sorgen. Jedenfalls wird sie auf ihrer Angebotsliste keine Frischmilch mehr aufführen, sonders solche nur auf direkten Wunsch ausschenken.

Auch im Glarnerland weht schon der Lebensmittlergeist über die Alpen. Der kommende Mann vom Lebensmittelamt ist als scharfer Hund bekannt, der gerne beisst um des Beissen willens. Christian Beglinger von der Alp Nüen GL schenkt Milch ohne zusätzliche Informationsbroschüre aus. Als Präsident des Alpwirtschaftlichen Vereins Glarus und Umgebung ist er sich der Problematik bewusst – an der nächsten HV wird der Hund seine Botschaft bellen dürfen.

Der Alpmeister der Alp Wiesen GR hat seine Älplerleute darauf hingewiesen, dass sie ohne Infoabgabe keine Rohmilch verkaufen dürften. „Er wollte eigentlich eine Tafel kreieren, hats dann aber unterlassen”, erzählt die Älplerin Manuela Kelch.

Theres Gerber von der Alp Bäder BE wurde im Sommer vom Kantonschemiker kontrolliert, weil sie auch „Schlafen im Stroh” anbietet. Wegen der Rohmilchabgabe wurde sie mit 30 Franken gebüsst. „Vor allem die deutschen Gäste wollen Rohmilch”, sagt sie. „Doch ständig noch Pastmilch im Angebot haben, ist ein blödsinniger Mehraufwand.” Weiter meint sie, dass der SAV ruhig etwas unternehmen dürfe, um etwas gesunden Menschenverstand in die Vorschriften zu bringen.

Karin Niederberger, Sennerin auf der Alp Stätz GR und Präsidentin des Bündner ÄlplerInnen Vereins fragt bei den Gästen nach, bevor sie das weisse Unheil schlucken – die meisten wollen dann doch keimreiche Milch. Zusammen mit Nationalrat Hansjörg Hassler will sie sich beim kantonalen Veterinäramt um eine vernünftige Lösung bemühen. Wir wünschen Glück und erheben das Glas!

P.S. Wir haben auch bei den momentan noch tätigen Milchinspektoren der Kantone BE, GL, GR und UR eine kleine Meinungsnachfrage gemacht. Im Bunde finden sie die Vorschrift zu hart, tolerieren das älplerische Vergehen und sorgen sich um die Alpwirtschaft, wenn der Kantonschemiker kommt. Die Touristen, die bis auf die Alp gelangen, erwarten auf jeden Fall keine Pastmilch.

Ein paar Tipps zum Verkauf von Rohmilch:

Gegenüber den Gästen:

  1. Konsumenten informieren, im Gespräch oder mit einer Hinweistafel beim Stafel.

  2. Fragen, ob sie trotzdem Rohmilch wollen.

  3. Eventuell nach ihrer Meinung bezüglich des Rohmilchverbots fragen und die Antworten ans Bundesamt für Gesundheit schicken.

Gegenüber dem Inspektor:

  1. Keine Tafel am Weg: „Milch zu verkaufen”, sonst zieht man die Kontrolle sowieso auf sich.

  2. Eine UHT-Milch für die Kontrolle auf Lager halten.

  3. Dem Inspektor deutlich mitteilen, was man vom Verbot hält.


So könnte ein Hinweis auf einer Tafel oder eingeritzt im Glas lauten:

Hier gibt’s noch echte Rohmilch von der Alp

Gemäss Lebensmittelverordnung machen wir sie gerne darauf aufmerksam, dass unsere Alprohmilch, nicht genussfertig ist und vor dem Konsum auf mindestens 70 °C erhitzt werden müsste. Sofern Sie die Milch mitnehmen, weisen wir darauf hin, dass sie während max. 2 Tagen unter 5°C aufbewahrt werden muss. Auf eigene Gefahr dürfen Sie unsere Alpenrohmilch aber auch unendlich geniessen:

Es gibt nichts Besseres!


Roh nach Duden

Der Duden ist sich nicht sicher, ob er den Begriff „roh” auf die Milch oder auf das Lebensmittelamt anwenden soll.

1. naturbelassen, nicht zubereitet, [noch] nicht gar, ungebraten, ungekocht.

2. a) im Naturzustand/Rohzustand, naturell, natürlich, unbearbeitet, ungereinigt, unverarbeitet; (Chemie): crudum. dies weglassen oder viel kürzer.

Synonyme: barbarisch, brutal, derb, erbarmungslos, gefühllos, gewalttätig, gnadenlos, grausam, grob, hart, rabiat, rücksichtslos, ruppig, unmenschlich, verletzend, verroht; (bildungsspr.): brachial, krude, violent; (ugs.): abgebrüht, kaltschnäuzig; (abwertend): bestialisch, grob, kaltblütig, rücksichtslos, rüde, skrupellos, viehisch; (oft abwertend): tierisch; (geh. veraltend): fühllos.